"Was Du Alles Im Kopf Hast"
Susanne Mierau ist Familienbegleiterin, Autorin und eine der bekanntesten Stimmen zur Elternschaft im deutschsprachigen Raum. In „Emotional Load“ zeigt sie, wie Mütter frei von emotionaler Überlastung werden können – ein wichtiges Buch für alle, die Familien gerecht gestalten wollen. Und in „Mein kleines Schlafnest“ begleitet sie die Jüngsten liebevoll in den Schlaf: mit Achtsamkeit, Fantasie und ganz viel Geborgenheit.
Liebe Frau Mierau, zwei Bücher auf einmal – ein Bilderbuch fürs Herz und ein Sachbuch für den Kopf: Wie kam es dazu, dass „Emotional Load“ und „Mein kleines Schlafnest“ fast zeitgleich erschienen sind?
Das war tatsächlich eine Entscheidung des Verlags. Eigentlich hätte es noch besser gepasst, wenn „Mein kleines Schlafnest“ bereits 2023 erschienen wäre – als Ergänzung zum Schlafbuch für die ganze Familie. Aber wir brauchten Zeit für dieses Kinderbuch, das so liebevoll und detailverliebt illustriert wurde. Wir – Agi Ofner, Lisa Rossbach und ich – standen im engen Austausch, um all das einzubringen, was uns wichtig war. Manche Dinge brauchen eben Zeit. So kam es, dass beide Bücher nun gleichzeitig erschienen sind.

Beginnen wir mit „Emotional Load“: Der Begriff ist inzwischen vielen bekannt – aber was verstehen Sie ganz persönlich darunter?
Emotional Load beschreibt die emotionale Last bis hin zur Überlastung – eine Belastung, die besonders oft Frauen und Mütter betrifft. In meiner Arbeit als Pädagogin und Familienbegleiterin begegne ich vielen Müttern, die mir von ihren Herausforderungen berichten: Sie verarbeiten eigene emotionale Wunden, oft begleitet von Therapie, während sie gleichzeitig dafür sorgen, die Kinder emotional zu begleiten – und nicht selten übernehmen sie auch in der Partnerschaft oder gegenüber der älteren Generation die emotionale Verantwortung. All das passiert in einer Zeit, in der wir von einer gesellschaftlichen Krise in die nächste geraten. Das ist eine enorme zusätzliche Belastung – gerade für Eltern, die sich um die Gegenwart und Zukunft ihrer Kinder sorgen. Emotional Load ist also vielschichtig und höchst individuell.
Warum ist das Thema gerade jetzt so wichtig – und warum hat es Ihrer Meinung nach so lange gedauert, bis es öffentlich diskutiert wurde?
Wie bei vielen gesellschaftlichen Themen braucht es mehrere Schritte. Zunächst haben Autorinnen wie Patricia Cammarata und Laura Fröhlich das Thema Mental Load sichtbar gemacht. Sie haben aufgezeigt, wie viele unsichtbare Aufgaben tagtäglich anfallen. Nun ist es Zeit, über Emotional Load zu sprechen – eine noch subtilere, tiefere Belastung, die schwer greifbar ist. Aber genau das ist der nächste notwendige Schritt in der Diskussion.
Sie schreiben nicht nur über mentale Last, sondern auch über den Weg aus ihr heraus. Was hat Ihnen selbst geholfen, besser mit Ihrer eigenen „Load“ umzugehen?
Ich lebe in einer Partnerschaft, in der wir von Anfang an viele Lasten sehr gleichmäßig verteilt haben. Schon vor dem Elternsein haben wir uns in einem Ehevertrag gegenseitig abgesichert – was vielleicht unromantisch klingt, aber ökonomische Abhängigkeit ist eine große Belastung, die man möglichst vermeiden sollte. Auch als Eltern teilen wir uns die mentalen und emotionalen Aufgaben.
Was wünschen Sie sich, dass Leser:innen nach der Lektüre von „Emotional Load“ anders machen?
Ich wünsche mir vor allem, dass ein Bewusstsein entsteht: Emotional Load existiert – und sie ist vielfältig. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, unter dem vor allem Frauen und Mütter leiden. Wenn wir das erkennen, können wir ehrlich darüber sprechen, Scham abbauen. Viele denken, Überlastung sei ein persönliches Versagen. Aber wenn wir wissen, dass es vielen so geht, entsteht Raum für Verbindung – und aus dieser Verbindung kann Kraft für Veränderung wachsen.
Wechseln wir das Buch: In „Mein kleines Schlafnest“ führen Sie Kinder ganz behutsam in die Nacht. Wie kam die Idee zu diesem Buch zustande?
Schlaf ist schon lange ein zentrales Thema in meiner Beratungsarbeit. Oft geht es darum, wie sich der Schlaf aktuell verbessern lässt. Mir war aber wichtig, einen Schritt weiterzugehen: Kindern von Anfang an ein Gefühl für gute Schlafhygiene zu vermitteln – etwas, das vielen Erwachsenen selbst fehlt. „Mein kleines Schlafnest“ soll zeigen, dass Kinder selbst entdecken dürfen, was ihnen abends gut tut und wie sie sich ihr Schlafnest ganz individuell einrichten können.
Der Text ist sehr ruhig, fast poetisch – wie schwer oder leicht ist es, so reduziert und zugleich stimmungsvoll zu schreiben?
Das war tatsächlich ein längerer Prozess. Zusammen mit meiner Lektorin habe ich immer wieder am Text gefeilt, hier ein Wort verändert, dort etwas gestrichen – bis Text und Bild wirklich harmonisch ineinandergriffen. Die Atmosphäre sollte in Sprache und Illustration gleichermaßen spürbar sein.
Die Illustratorin Agi Ofner fängt die Atmosphäre wunderbar zart ein. Wie war die Zusammenarbeit – und was haben Sie gedacht, als Sie die ersten Skizzen gesehen haben?
Die Zusammenarbeit mit Agi war wundervoll. Zunächst hatte der Verlag eine andere Illustratorin vorgesehen, deren Bilder auch schön waren – aber sie haben nicht die Stimmung meiner Geschichte eingefangen. Mit Agi hat es sofort gepasst. Ich habe ihr Fotos geschickt – von meinem Kind mit dem großen Affen im Arm, von unserer Elfentür – und so haben wir gemeinsam diese kleine Welt erschaffen.
Was macht für Sie ein gutes Einschlafbuch aus – jenseits von „ruhig“ und „nicht zu aufregend“?
Ich finde es besonders wichtig, dass sich Autor:innen in die Gefühls- und Erlebenswelt der Kinder einfühlen – nicht nur bei Einschlafbüchern, sondern generell. Natürlich können wir Erwachsenen nie ganz so denken und fühlen wie Kinder. Aber um sie ernst zu nehmen, müssen wir es wenigstens versuchen. Kinder erleben die Welt noch auf eine ganz andere, oft fantastische Weise – diese Fantasie, die noch nicht überreizt ist wie bei uns Erwachsenen, wollte ich einfangen.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten – was würden Sie sich für die Welt der Fürsorge wünschen? Für Große und Kleine?
Ich wünsche mir, dass Fürsorge den Stellenwert bekommt, den sie verdient. Eigentlich dreht sich in unserer Welt alles um Beziehungen und Miteinander – aber wir haben verlernt, den Blick darauf zu richten. Dabei steckt Fürsorge in allem: Auch dieses Magazin, dieses Interview ist ein Produkt des Miteinanders vieler Menschen.
Und ganz zum Schluss noch Fragen zu unserer Welt der Buchhandlungen: Was bedeutet Ihnen persönlich der unabhängige Buchhandel?
Ich liebe Buchhandlungen. In Eberswalde ist das „Mysak“ meine Lieblingsbuchhandlung. Das ist ein Ort, an den ich gehen kann, wenn ich noch gar nicht weiß, was ich lesen möchte – aber sicher bin, dort etwas zu finden. Die Auswahl ist so liebevoll kuratiert – das kann kein Onlinehandel ersetzen.
Wie wichtig ist für Sie die persönliche Beratung im Buchhandel – gerade im Vergleich zu Algorithmen und Onlineempfehlungen?
Sehr wichtig. In einer Buchhandlung kann mich im besten Fall eine Buchhändlerin beraten, die mich schon ein wenig kennt – und dann auf dieser Basis ein Buch empfehlen. Das ist etwas ganz Besonderes, das kein Algorithmus leisten kann. Und manchmal sind es genau diese Empfehlungen, bei denen gesagt wird: Ich glaube, das hier würde dir gefallen – auch wenn du es selbst vielleicht nicht gewählt hättest.
Wenn Sie selbst in einer Buchhandlung arbeiten würden: In welche Abteilung würden wir Sie finden – und welches Buch würden Sie sofort auf einen Empfehlungsstapel legen?
Ich denke, ich würde im Bereich Kinderbuch arbeiten. Ich finde es ganz wunderbar, wenn Geschichten die Fantasiewelt von Kindern aufgreifen und ergänzen. Erwachsene Geschichten haben davon oft so wenig. Ein Buch, das ich selbst beim Vorlesen sehr genossen habe ist Lichterland. Das empfehle ich gerne weiter und würde es auf den Empfehlungsstapel legen.