Nelio Biedermann

„Literatur kann das Bedürfnis stillen, mehr zu sehen, zu erleben und zu fühlen.“

Buchhändler Stefan Jakubik von der Buchhandlung Sternkopf & Hübel in Celle sprach für schönerlesen mit Nelio Biedermann – über dessen Roman Lázár und die Kraft der Literatur.

Lieber Herr Biedermann, Ihr Protagonist Lajos verspürt eine Liebe zum Schreiben, einen regelrechten Zwang, Wörter zu Papier zu bringen. So zügig, wie Sie Romane verfassen, scheint es bei Ihnen nicht anders zu sein. Ist das so? Wie ist es dazu gekommen? Haben Sie heute schon etwas geschrieben?

Ja, dieses Bedürfnis, die Welt um mich herum festzuhalten, verspüre ich auch. Wobei bei mir die Freude, eigene Welten zu erschaffen und mein Inneres auszudrücken, hinzukommt. Aber zügig geht das nicht, es braucht Zeit.

Ihre Fabulierkunst lässt einen staunen. Wenn Sie anfangen, eine Geschichte zu schreiben, haben Sie schon eine Vorstellung im Kopf, wohin die Handlung treibt, oder haben Sie zunächst die Charaktere im Kopf?

Bei diesem Roman war der Handlungsrahmen durch das Historische gegeben. Meist beginnen meine Geschichten aber mit den Figuren und der Atmosphäre, der Welt, durch die sie sich bewegen. Wenn ich diese beiden Dinge und den richtigen Erzählton gefunden habe, entwickelt sich die Handlung im besten Fall wie von selbst.

Die Erzählweise von „Lázár“ erinnert in ihrer Farbigkeit an die großen Lateinamerikaner, es gibt im Buch auch Bezüge zu Schnitzler, Poe und Proust. Welche Autoren und welche Geschichten haben Sie besonders inspiriert?

In die damalige Zeit hineingeführt hat mich Joseph Roth mit seinem «Radetzkymarsch». Ich habe während des Schreibens aber auch Thomas Mann, Proust und E.T.A. Hoffmann gelesen.

All das schien ganz direkt mit der Geschichte meiner Familie zusammenzuhängen

Die bestehende, später untergehende und letztlich untergegangene KuK-Monarchie Österreich-Ungarn bestimmt den Kosmos des Romans. Was verbinden Sie mit der Welt des Habsburgerreichs?

Diese untergegangene Welt, die – gezeichnet von der Zeit – noch immer greifbar scheint in Budapest und Wien, hat mich schon früh fasziniert, die Prachtstraßen, die Denkmäler, der heruntergekommene Prunk. Aber auch die Spuren aus den Jahrzehnten nach dem Ende der Monarchie, wie etwa die Einschusslöcher aus dem Krieg und dem Ungarischen Aufstand, die mir mein Großonkel in den Fassaden der Palais zeigte. All das schien ganz direkt mit der Geschichte meiner Familie zusammenzuhängen.

Auch Ihre Familie stammt aus Ungarn. Was bedeutet Ihnen heute dieses Land?

Vor allem Budapest ist mir vertraut. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich eine äußere Perspektive auf das Land habe, die mir aber auch geholfen hat, einen unvoreingenommenen Blick darauf zu werfen.

Ich wollte wissen, was für ein Leben man in den aristokratischen Kreisen geführt hat

Haben Sie für das Buch intensiv recherchiert? Wie haben Sie es geschafft, das Setting des Romans in Ungarn vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund so authentisch wirken zu lassen?

Die Recherche war intensiv und erfolgte auf verschiedenen Wegen, aber einen großen Teil des Stoffs trug ich schon immer in mir. Um ein Gefühl für die damalige Zeit zu kriegen, habe ich viel mit meinem Großonkel gesprochen, der diese noch erlebt hat und selbst in einem Schloss geboren wurde. Ich wollte wissen, was für ein Leben man in den aristokratischen Kreisen geführt hat, was man aß, welche Zeitungen und Bücher man las, womit man wirtschaftete und wie man seine Kinder erzog.

Romane zu lesen, erst recht Romane zu schreiben, scheint für viele Menschen heute – erst recht in Ihrem Alter – eher aus der Zeit gefallen zu sein. Was sagen Sie denen?

Ich glaube, Michel Houellebecq hat einmal gesagt, dass der Mensch ein zu komplexes Wesen ist, um nur ein Leben zu führen. Literatur kann dieses Bedürfnis, mehr zu sehen, zu erleben und zu fühlen, stillen.

Ich danke Ihnen sehr für das nette Gespräch!

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Lázár
Nominiert als Lieblingsbuch der Unabhängigen 2025 und für den Schweizer Buchpreis 2025 Alles beginnt, sogar das Ende, als Lajos von Lázár, das blonde Kind mit den wasserblauen Augen, zur Welt kommt. Seinem Vater, dem Baron, wird der Sohn nie geheuer sein, als ob er dessen Geheimnis ahnte. Mit Lajos' Geburt im Waldschloss bricht auch das 20. Jahrhundert an, das das alte Leben der Barone Lázár im südlichen Ungarn für immer verändern wird. Der Untergang des Habsburgerreichs berührt erst nur ihre Traditionen, aber alle spüren das Beben der Zeit, die schöne Mária ebenso wie der geisterhafte Onkel Imre. Als Lajos in den zwanziger Jahren sein Erbe antritt, scheint der alte Glanz noch einmal aufzublühen. Doch die Kinder Eva und Pista - der das Dunkle so liebt - müssen erleben, wie totalitäre Zeiten ihre wuchtigen Schatten werfen - und lernen, gegen sie zu bestehen. Ein Roman wie eine Welt, die überwältigende Saga einer Familie, getrieben von der Liebe und der Sehnsucht nach ihr, in den Strudeln des 20. Jahrhunderts. Fesselnd und berührend, zugleich voller Leichtigkeit, voller Träume und Geheimnisse, in denen sich die ganze Tragik und Schönheit der Existenz spiegelt. Und - ob angesichts historischer Katastrophen oder schöner Sommertage - die ewige Frage, wie man leben soll.