Interview mit Patrizia Di Stefano

21.03.2024

Die 1966 in Berlin geborene Patrizia Di Stefano hat als Grafikerin ihre Liebe zu Büchern zum Beruf gemacht: Ihre Buchcover sind mehrfach preisgekrönt. Wir durften Patrizia Di Stefano zu ihrem Debüt, „Nostalgia Siciliana“ ein paar Fragen stellen.

Ihr Buch können Sie am Ende dieser Seite bestellen oder eine Kopie in unserem Gewinnspiel gewinnen.

Zu leckeren sizilianischen Rezepten geht es hier: Patrizia Di Stefanos deutsch-sizilianischen Familienrezepte

Ihr literarisches Ich hatte jahrelang keinen Kontakt nach Sizilien, der Verlust Ihres Vaters war zu schmerzhaft. Was hat Sie dazu gebracht, sich Ihrer sizilianischen Nostalgie zu stellen?

Meine Protagonistin Tita verliert ihren Vater mit zwölf, erbt mit Mitte dreißig das Landgut ihrer Familie und stellt sich damit ihren Gefühlen. Ich selbst war deutlich jünger, als ich diesen Schritt getan habe. Die Sehnsucht nach Sizilien war nach dem Tod meines Vaters immer da. Ich habe während meines Kunststudiums in Mailand eines Tages meine Ängste überwunden und bin mit Herzklopfen im Zug von Milano nach Ragusa gereist. In meinem Roman habe ich versucht, für die Wiedersehensfreude mit meiner Familie die passenden Worte zu finden. Die Sizilianer sind ja bekanntermaßen sehr emotional und die deutsche Hälfte in mir hat wohl beschlossen, Gefühlsdinge lieber dem italienischen Part zu überlassen. Nachdem ich aber erstmal da war, hatte mich die Insel ganz im Griff. Seit nunmehr dreißig Jahren fahre ich mit meiner Familie jedes Jahr nach Sizilien. Und das, obwohl ich meinem Mann jeden Sommer verspreche, im nächsten Urlaub mal Frankreich mit ihm zu bereisen.

Wie lange hat die Geschichte schon in Ihnen geköchelt?

»Geköchelt« ist ein sehr schönes Wort dafür, wo doch die sizilianische Küche so eine große Rolle im Buch spielt. Aber um ganz ehrlich zu sein, musste ich das Ganze gar nicht köcheln lassen. Die Geschichte war schon da, mitsamt einem Großteil der Charaktere. Sie musste nur vom Baum gepflückt werden wie eine reife Blutorange. Meine drei Söhne haben mich immer wieder gebeten, ihnen die Geschichte ihres Nonnos Gianni zu erzählen, der aus Sizilien nach Berlin kam und in Deutschland die Tiefkühlpizza erfand. Nach fünf Monaten musste mich der Verlag bremsen, weil ich schon über 500 Seiten geschrieben hatte. Was mich, neben Giannis ganz persönlicher Geschichte und dem kulturgeschichtlichen Teil über die Tiefkühlpizza, am meisten reizte, waren die Gegensätze der Welten: Sizilien in den 1950er- und 1960er-Jahren, Westberlin in den 1970er-Jahren. Es ist ein Roman voller Bilder. Gewürzt mit Geschichte, Küche und Architektur. Und es ist die Geschichte der ersten Gastarbeiter in der Bundesrepublik, die unter widrigen Umständen und misstrauisch beäugt, als günstige Arbeitskräfte herkamen und die uns letztendlich zu der italophilen Nation gemacht haben, die wir heute sind

Welches sizilianische Gericht bereiten Sie zuhause in Berlin zu, wenn die Sehnsucht nach Sizilien überhandnimmt?

Eine schöne und schwierige Frage. Natürlich gibt es viele Gerichte, deren Aromen mich gedanklich sofort nach Sizilien reisen lassen. Die Sehnsucht nach der Insel überkommt mich in ziemlich kurzen Intervallen, weswegen es bei uns zuhause ständig nach sizilianischem Essen duftet. Ich habe das große Glück, einen Mann geheiratet zu haben, der als Nord- deutscher eine sizilianische Seele hat und diese in Perfektion beim Kochen unter Beweis stellt. Wenn es mir gerade mal wieder vor Sehnsucht den Boden unter den Füßen wegzieht, wünsche ich mir Pesce spada alla siciliana, Schwertfisch mit Tomaten, Kapern, Oliven, Colatura di Alici, Chili, Knoblauch und etwas Butter. Und falls es gerade keinen Schwertfisch gibt, löffle ich diese Soße notfalls auch pur mit etwas Brot. Die sizilianische Küche ist übrigens, ähnlich wie die Insel selbst und ihre Bewohner, voller Kontraste. Vermutlich, weil die Besatzer, die im Laufe der Jahrtausende hier ein- und ausgingen, jeweils etwas von ihrer Kultur zurückgelassen haben.

Welches ist Ihr Lieblingsort auf Sizilien?

Definitiv ist das schönste Fleckchen auf Sizilien, wenn nicht gar auf der ganzen Welt, der Südosten der Insel. Die typisch hellen Natursteinmauern ziehen sich wie Kreidestriche durch die trockenen Felder, die vom Meer bis in die Monti Iblei reichen. Nur hier im Süden der Insel gibt es neben Kakteen, Olivenbäumen und duftendem Jasmin auch die wunderschönen Carrubi, Johannisbrotbäume, deren teils jahrhundertealte Stämme und lederne Blätter sich gegen die Sommerhitze stemmen. Nur hier finden sich auch die schönsten Barockstädte – Noto, Modica, Siracusa – und natürlich Ragusa Ibla, das wie eine Perle auf der Spitze eines Hügels sitzt. Nur hier gibt es die schönsten Strände mit weißem Sand und türkisblauen Wasser. Leider kommen von hier auch einige weniger schöne Exportschlager wie die Cosa Nostra, die ihren Ursprung in Palma di Montechiaro hat, nur etwa hundert Kilometer vom beschaulichen Ragusa entfernt. Von hier nahm Anfang der 1970er die Pista della Morte über Mannheim bis nach Berlin ihren Lauf. Das Süße und das Bittere, das Helle und das Dunkle, das Schöne und das Hässliche. Wenn ich mich jetzt nicht bremse, schreibe ich wieder 500 Seiten. Wer mehr erfahren möchte, dem lege ich mein Buch ans Herz. Und eine Reise nach Sizilien.  

Herzlichen Dank für das Gespräch, liebe Patrizia Di Stefano!

Nostalgia Siciliana