Klaus Brinkbäumer

» ICH VERSCHWENDE KEINE TAGE MEHR UND TUE RADIKALER DAS, WAS WICHTIG IST. «

Klaus Brinkbäumer ist Journalist, Autor, Moderator, Filmemacher und Podcaster. Nach 17 Jahren als Reporter und Korrespondent arbeitete er insgesamt acht Jahre als stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur des SPIEGEL sowie als Herausgeber von Spiegel Online. Seine Reportagen und Bücher wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Henri-Nannen-Preis und dem Deutschen Reporterpreis. Heute schreibt er für die ZEIT, moderiert einen Podcast (»OK, America?«, zusammen mit Rieke Havertz) und eine Talkshow (»Riverboat«) und ist Experte für Außenpolitik beim Mitteldeutschen Rundfunk.

Wir sprachen mit Klaus Brinkbäumer anlässlich seines neuen Buches »Zeit der Abschiede« über Verlust, Trauer und Neuanfang

Lieber Herr Brinkbäumer, Ihr neues Buch erzählt von sehr persönlichen Abschieden: Abschied von den Eltern, von Gewissheiten, Beruf, Beziehungen und Freundschaften. Wann haben Sie zum ersten Mal gespürt, dass diese Zeit für Sie begonnen hat?

Zuerst passierte es auf der politischen oder gesellschaftlichen Ebene: Durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine entstand das Gefühl, das ja vermutlich viele Menschen haben – was ist mit der alten Sicherheit geschehen, in welche neuen Zeiten gehen wir nun hinein? Und dann geschah’s im Privaten: Als 25 wundervolle, aufregende Jahre beim »Spiegel« endeten, musste ich Abschied nehmen, loslassen, aufbrechen.

Sie sprechen im Buch von Gefühlen, die Ihnen früher fremd waren. Welche dieser Emotionen hat Sie am meisten überrascht?

Wie tief Trauer reicht. Wie überraschend sie in durchaus ungelegenen Momenten kommt. Wie schön, wie bewegend sie sein kann, wenn wir ihr Raum geben, wenn wir über unsere Gefühle und Erinnerungen sprechen, wenn wir nicht allein mit unserer Trauer sind.

Wann kam der Moment, in dem Sie wussten: Ich muss darüber schreiben?

Gar nicht so bewusst. Ich bin nach New York geflogen, meine Sehnsuchtsstadt, und habe während des Flugs von dem Podcast »All there is« von Anderson Cooper gelesen, in dem es um Trauer geht. Und dann habe ich in New York gleich am ersten Tag diesen Podcast gehört – und schon am Abend damit angefangen, Szenen und Erinnerungen aufzuschreiben. Die erste, natürlich rohe, unfertige Fassung des Buches entstand in dieser einen New Yorker Woche.

Gab es Passagen, bei denen Sie sich gefragt haben, ob Sie wirklich so offen schreiben können? Haben Sie bewusst Grenzen gezogen?

Ja, mehrfach und mehrere. Ich hatte zunächst darüber nachgedacht, ob ich überhaupt so persönlich schreiben will, weil ich das in meinem Journalistenleben noch nie gemacht hatte. Meine Antwort: Na, wenn schon dieses Thema, das ich groß und wichtig fand, dann unbedingt persönlich und so wahrhaftig wie nur möglich, denn alles andere wäre sinnfrei. Und dann habe ich an mehreren Stellen und immer wieder darüber nachgedacht, wie weit ich gehen möchte. Die Ehe der Eltern … heikel. Berufliche Trennungen … Da habe ich mich darauf konzentriert, was mit uns passiert, wenn wir Heimaten verlieren. Abrechnungen hätten vielleicht Spaß gemacht, aber nicht zu einem guten Text geführt.

Welche Texte oder Autor:innen inspirierten Sie beim Schreiben dieses Buches?

Jede Menge, von »All there is« bis zu »A Grief Observed« von C.S. Lewis oder Olga Martynovas »Gespräch über die Trauer«.

In Zeiten permanenter Veränderung – persönlich, beruflich, digital, global – ist das »Loslassen« fast eine Daueraufgabe geworden. Wie gut, glauben Sie, geht unsere Gesellschaft mit dem Thema Verlust um?

Nicht sehr gut. Schmerz passt nicht zum Tempo und noch weniger zur Selbstoptimierung unserer Zeit, wir suchen eher neue Reize durch Unterhaltung. Ich habe an mir selbst gemerkt, dass ich Trauer zum Teil meines Tagesablaufs, meines Stundenplans machen wollte, aber das funktionierte nicht. Wir sind nicht oder nicht mehr darin geschult, über Trauer zu reden, Trauernden zuzuhören, Trauer zuzulassen und Abschiede als selbstverständlichen Teil des Lebens zu akzeptieren, der uns ja übrigens guttun und unser Leben weiten kann.

Was haben Sie selbst beim Schreiben über das Leben gelernt?

Ich wusste es zwar theoretisch, hatte es aber nicht verinnerlicht: Chancen kehren nicht zurück, wir leben nur einmal und haben nicht ewig Zeit. Ich verschwende nun keine Tage mehr und tue sehr viel radikaler das, was wichtig ist und was ich wirklich tun will; das, was in Japan »ikigai« heißen würde: der Grund, warum wir morgens aufstehen, das, worum es uns eigentlich geht, »our reason to live«.

Was wünschen Sie Leser:innen, die gerade Abschied nehmen?

Dass sie sich für den Abschied Zeit und Raum nehmen mögen. Dass sie Menschen um sich haben mögen, die zuhören. Und dass sie sich trauen mögen, über den Abschied und all die Gefühle zu sprechen.

Was lesen Sie zurzeit?

Ich lese immer parallel Fiktion und Sachbuch, derzeit den Roman »The Emperor of Gladness« von Ocean Vuong und Karl Schlögels »American Matrix«. Ich bin ja Mitglied im Stiftungsrat des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der Schlögel in diesem Jahr mit dem Friedenspreis auszeichnet; und ich kannte zwar seine Russland- und Ukraine-Texte, aber »American Matrix« ist gleichfalls meisterlich.

Haben Sie eine lokale Lieblingsbuchhandlung?

Ja, klar, in meiner Geburtsstadt Münster die Hiltruper Buchhandlung; hier in Leipzig das kleine, wundervolle Wörtersee; und in Hamburg Heymann in Eppendorf und Wassermann in Blankenese.

Vielen Dank für das Gespräch.

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