Königin der Hanse – Mit Thomas Mann ins Morgenrot

Lübeck – das war für mich Liebe auf den ersten Blick. Mit dem Deutschkurs ins Buddenbrookhaus, dem Leben von Thomas und Heinrich Mann nachspüren, das war der Plan. Doch Lübeck kam dazwischen. Die Stadt machte einfach Bämm! Sie überwältigte mich – mit Schönheit, Intensität und Einzigartigkeit. Mit Treppengiebelhäusern, Jugendstilfassaden, sieben Kirchen, Backsteingotik, blühenden Höfen, quirligen Innenstadtstraßen. Das alles dichtgedrängt auf einer gerade zwei Kilometer langen Insel, in den Armen von Wakenitz und Trave. Das Gefühl für Lübeck ist bis heute so: Seh’ ich das Holstentor, springt mein Herz vor Freude.



Glücksorte finden

Meine Begeisterung war Auslöser für meinen Reiseführer »Glücksorte in und um Lübeck«. Wertschätzung erfuhr die ehrwürdige Königin der Hanse allerdings auch in einem deutlich größeren Format: 1987 erklärte die UNESCO Teile der Innenstadt zum Weltkulturerbe.

Auf meinem literarischen Spaziergang besuche ich auf der Altstadtinsel und an der Ostsee Orte, an denen Schriftsteller:innen lebten, die Inspirationsquellen sind oder Treffpunkte für die Literaturszene der Stadt. Punkte, an denen es literarisch knistert. Wo hoch über quirligen Einkaufsstraßen Bücher entstanden. Zu schmalen Gängen, dem Hafen und den Ufern der Trave geht’s, die Krimi-Autor:innen zu spannenden Who-Dunnit-Geschichten inspirierten.

Es gibt bei der Rundtour kurze Stopps. Bewunderungsmomente »to go« sozusagen, vor geschichtsträchtigen Fassaden oder Statuen. Und, an anderen Punkten, die Einladung, sich Zeit zu nehmen für spannende Ausstellungen. Zum Erleben von Dreh- oder Krimi-Tatorten.

Roter Faden bei der Tour durchs literarische Netz, das sich über die Stadt spannt, sind dabei Literaturnobelpreisträger Thomas Mann und die Mann-Familie. Thomas und Heinrich Mann sind in ihrer Heimatstadt bis heute präsent. Nur an einer Stelle allerdings gerade nicht: Dort, wo man glaubt, den Verfassern weltberühmter Romane nahe zu kommen, im Buddenbrookhaus. Das Heinrich- und Thomas-Mann Zentrum wird gerade saniert. Doch auch ohne den Gebrüder-Mann-Hotspot macht Lübeck eine Annäherung an die Schriftsteller leicht. Beim Spazieren durch die Stadt wird mir klar: Ich bin ja mittendrin im Leben der Manns. Die alten Treppengiebelhäuser, die himmelsstrebenden Kirchtürme, die gehören zu ihrer Biografie. Ich sehe heute das gleiche wie Thomas und Heinrich Mann vor Jahrzehnten.



Fassaden als Biografie-Vermittler

Dicht an dicht stehen in der Altstadt die Wohn- und Geschäftshäuser, ein gemauerter Schulterschluss. Gediegene Eleganz und hanseatisches Selbstbewusstsein strahlt mir von den Fassaden entgegen, gleichzeitig auch bürgerliche Enge. Unverrückbarkeit. Ausbruchsversuche aus starren Konventionen des Bürgertums oder das Weggleiten in schillernde Varietéwelten – Themen in den Romanen von Thomas und Heinrich Mann – hatten vielleicht genau in diesem realen Setting ihren Ausgangspunkt.

Handfeste Infos über die literarischen Größen sind weiterhin zu haben, an anderer Stelle, ein paar Schritte weiter: Am Markt wurde neben dem Café Maret ein Info-Center mit Museumsshop und Ausstellungsraum zur Familie Mann eingerichtet. Biografien lassen sich an großen Fotoleinwänden per QR-Code abrufen.

Unter den Backsteinbögen vom Rathaus hindurch geht es von dort links in die Breite Straße 62 zum Wiener Caféhaus . Schriftsteller:innen sind dort gern gesehen. Im ersten Stock des ehemaligen Kanzleigebäudes veranstaltet das Literaturforum Lübeck im Literatursaal oder im Adlersaal Lesungen. Termine gibt es auf der Webseite literaturforumluebeck.de.

Im Passantenstrom der Fußgängerzone laden die Caféhaustische zum Weltsprachen-Soundcheck ein. Touristen mit Handys in Foto- und Filmposition ziehen schwatzend vorbei, Hansestädter plaudern Norddeutsch oder Platt. Geradeaus nach Norden geht es zur altehrwürdigen Schiffergesellschaft, das Restaurant liegt an der Ecke zur Engelsgrube . Die schnurgerade auf den Hansahafen zulaufende Straße ist Namensgeber für einen Krimi der Autorin Eva Almstädt. Gegenüber, in der St. Jakobi-Kirche , lässt sich ein Familien-Beichtstuhl bewundern, wie Thomas Mann ihn im Roman »Die Buddenbrooks« als Ort für Tony Buddenbrooks Katechismus-Vortrag beschrieb.

Durch die Kleine Burgstraße geht es hinter der Kirche geradeaus bergan, vor der Treppe abwärts zum Hansemuseum lockt eine Panoramaterrasse mit schönsten Aussichten. Weit geht der Blick über die Trave, an der Mole gegenüber liegt der Nachbau einer Hansekogge, die »Lisa von Lübeck«.

Das historische Schiff, das Hafengelände, Restaurants, Verkehrsadern – die Szene ist wie gemacht für eine gute Story. Im Mittelalter-Krimi »Rungholts Ehre« von Autor Derek Meister wird ein Toter aus der Trave gezogen. Kriminalfälle, die Jonas Starck von der Lübecker Kriminalpolizei in den Thrillern von Silas Wolf löst, spielen dagegen auch außerhalb der Stadt, etwa »Starr vor Angst«.

Weiter geht’s auf einem Sandpfad für Fußgänger in leichtem Bogen zum Burgtor. Einmal durch das Tor spazieren, dann nach links schauen: Dort steht das imposante Zöllnerhaus von 1571 . Ein weiterer Thomas-Mann-Bewunderungsort: Die Schriftstellerin Ida Boy-Ed lebte 1912 bis 1928 hier.

Ida Boy-Ed lebte aus heutiger Sicht emanzipiert. Jahrzehnte arbeitete sie, getrennt von ihrem Mann, in Berlin und als Journalistin. Erst, als ihr Mann sie zurück nach Lübeck holte, machte sie sich mit 70 Romanen einen Namen. Sie erkannte das Talent des jungen Thomas Mann und förderte ihn. War er in Lübeck zu Besuch, war er im Zöllnerhaus ihr Gast.



Das literarische Knistern in der Königstraße

Ich gehe weiter in der Burgstraße, die zur Königstraße wird. Literarisches Knistern prägt die Straße, wie Perlen an der Schnur liegt Sehenswertes nebeneinander: Auf dem Platz hinter dem Heiligen-Geist-Hospital erinnert eine imposante Statue an den von seinen Zeitgenossen so hoch geschätzten Dichter Emanuel Geibel (1815-1884), dass sie dem Sohn der Stadt das Standbild stifteten. Ich summe beim Weiterschlendern ein paar Takte von »Der Mai ist gekommen«, Geibel schrieb den Text dazu, dann bin ich schon beim zweiten Geibel-Bewunderungspunkt in der Königstraße 12: Das Haus war sein Alterssitz.

Schräg gegenüber verlockt das Behnhaus Drägerhaus zum Besuch. Bis zum Jahresende ist im eleganten Stadtpalais die mit vielen Videos abwechslungsreich gestaltete Ausstellung »Die Buddenbrooks« zu sehen. Ein Gehstock, ein Kugelschreiber und eine Hermes-Statue aus dem Besitz von Thomas Mann zeugen vom Geschmack des Künstlers.

Die historisch gestalteten Räume waren Kulisse einer Buddenbrook-Verfilmung: Im Kontor und in den Wohnräumen wurden Szenen gedreht.

Wieder auf der Königstraße, gehe ich nur ein paar Schritte weiter nach links, dann bin ich beim Willy-Brandt-Haus. Eine schwarze Schreibmaschine in einer Ausstellungsvitrine erzählt: In seiner Jugend war der spätere SPD-Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger publizistisch aktiv. Willy Brandt schrieb Bücher und brachte eine Zeitung heraus.

Durch den Garten des Hauses komme ich direkt zum Günter-Grass-Haus in der Glockengießerstraße . Der Weg vom Friedens- zum Literaturnobelpreisträger ist ausgeschildert. Das Besondere im Grass-Haus: Ob Schreibmaschine, Bücher oder die Blechtrommel als Titelgeberin für einen Roman, das Ausprobieren der Exponate ist erlaubt.

Ich schlendere von der Glockengießerstraße zurück zur Königstraße, an der Ecke links liegt das Katharineum mit der Aufschrift. »Tu es« auf der Tür. Ob deutsche Aufforderung oder lateinische Zustandsbeschreibung, mir gefällt die Inschrift. Das Gymnasium war eine Literatenschmiede: Emanuel Geibels Schreibtalent wurde hier gefördert, andere Autoren erlebten wohl eher eine Charakterfestigung. Thomas Mann durfte eine Ehrenrunde drehen. Erich Mühsam, bekannt geworden als Schriftsteller und Anarchist, wurde 1896 wegen sozialistischer Umtriebe sogar der Schule verwiesen. Das prägt auch.

Erich Mühsam bedankte sich auf seine Weise: Er rettete das Gebäude der wenige Meter entfernt liegenden Löwen-Apotheke in der Julius-Leber-Straße 13/Ecke Königsstraße vor dem Abriss. Mühsam machte anonym fünf Zeitungen auf die Abrisspläne für eines der ältesten Profanbauten der Stadt aufmerksam. Die Veröffentlichung aktivierte Bürger, die Geld für die Sanierung sammelten. Schon spannend, was Schriftsteller bewirken können.

Nach ein paar Schritten südwärts biege ich in die Fleischhauerstraße ein. Die gläserne Bäckerei sonnengelbe Bücherpiraten-Kinderliteraturhaus in der Fleischhauerstraße 71 zum Stöbern. Das von einem Verein gegründete Geschäft hat Seltenheitswert: Es bietet ausschließlich Second-Hand-Kinderbücher an. Regelmäßig treffen sich hier Autor:innen. Projekte wecken Lust am Lesen, Schreiben und Erzählen. »Fundbüro der Wörter« heißt eines. Ein poetischer Ort.

Vielleicht auch der Grund für die Lübeckerin Johanna Prinz gerade in dieser Straße, ganz oben, in einem Dachzimmer, ihren ersten Kinderroman mit dem Titel »Montags ist immer Safari« zu schreiben.



Surfen Auf der Thomas-Mann-Gedächtniswelle

Ich will noch weiter auf der Thomas-Mann-Gedächtnis-Welle surfen. In der Königsstraße starten an der Haltestelle Koberg Busse der Strandlinie 40 Richtung Timmendorf. Am Bahnhof Travemünde steige ich aus und spaziere zur Promenade am Meer. Osten ist die angesagte Richtung, der Mövenstein vor dem Lübecker Yacht-Club mein erstes Ziel. Der sagenumwobene Stein spielt im Roman »Die Buddenbrooks« eine Rolle: Hier siedelte Thomas Mann das Heiratsversprechen von Tony Buddenbrook an. Bei schäumender Gischt und brausendem Wind. Nah bei den Elementen. Nie eingehalten.

Weiter geht es für Sportliche zum Brodtener Ufer. Aus einem Seepavillon am Steilufer genoss dort Thomas Mann den Blick aufs Meer. Die Aussicht ist auch ohne Pavillon so beflügelnd, dass ich nach Niendorf durchstarte. Dort lockt ein Blick auf das Haus für einen Sommer von Bestseller-Autor Bastian Sick, der mit »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod« Furore machte. Die Künstlerredoute am Ernst-Wittern-Park in der Strandstraße ist inzwischen allerdings verlassen. Ein paar Meter weiter nimmt mich an der Haltestelle »Niendorf Hafen« der Strandbus 40 auf. Sanft brummend rollt er Richtung Lübeck. Will ich wirklich zurück? Schlafstrandkörbe am Meer verheißen in Travemünde einen weiteren Thomas-Mann-Moment. Ich tauche in den Seeblick ein, bis zum Morgenrot.



Oh du köstliches Marzipan – Lübeck und die weltberühmte Leckerei

Die malerische Altstadt der Hansestadt Lübeck (UNESCO-Weltkulturerbe) erstrahlt in jedem Jahr um den Dezember in vorweihnachtlichem Lichterglanz und lädt zum Bummeln über die berühmten Lübecker Weihnachtsmärkte. Überall auf den Straßen und Märkten duftet es mal süß, mal deftig nach Weihnachten. Erstmalig urkundlich belegt wurde ein Weihnachtsmarkt am Fuße des Lübecker Rathauses um 1648. Heute finden dort über zehn Weihnachtswelten in historischer Kulisse statt. Oft genug fällt Schnee und verzaubert die Altstadtinsel in eine märchenhaft Winterwelt.

Oh du köstliches Marzipan – Lübeck und die weltberühmte Leckerei

• Marzipan stammt ursprünglich aus dem Orient und kam im Mittelalter nach Europa. • Schon (850-923 n. Chr.) schrieb der persische Arzt Rhazes in ein Buch, in dem er das Gemisch aus Mandeln und Zucker als Heilmittel anpries. • Angeblich wurde die Süßigkeit nach dem Schutzheiligen Venedigs, Markus benannt, da die Lübecker früher ihre Mandeln aus Venedig bezogen. Daher: Marci Panis (lat.) = das Brot des Markus. • Grundsätzlich gilt: Je weniger Zucker desto feiner ist die Qualität. • Zur Marzipan-Hochburg wurde Lübeck im 19. Jahrhundert. Schon damals stellten mehrere Konditoreien Marzipan her, wie Johann Georg Niederegger, der 1822 sein weltberühmtes Traditionsunternehmen startete oder das Unternehmen Carstens (1845). • Das »Lübecker Marzipan« ist nach EU-Recht geschützt. Produkte müssen in der Hansestadt oder in den zwei Nachbarorten Bad Schwartau und Stockelsdorf hergestellt werden und mindestens 70% Rohmasse enthalten. • In der Saison produziert die Traditionsfirma Nideregger täglich etwa 30.000 Kilogramm Marzipan.



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