
Wein Spezial – von und mit Jens Priewe
Heute geht es um Bioweine. Der Anlass ist eine Mail, die ich von Tabea S. aus Berlin erhalten habe. „Ich habe gelesen, dass nur zehn Prozent aller Weine biologisch-organisch oder biodynamisch erzeugt werden“, schrieb sie. „Ich finde das sehr wenig. Können Sie als Journalist die Winzer nicht aufrütteln, dass sie endlich auf Pestizide im Weinberg verzichten und auf Bio umstellen?“
Ein paar Tage habe ich überlegt, was ich Tabea S. antworten soll. Ich könnte sagen: „Danke für den Appell. Mach ich!“ Dann müsste ich es auch tun. Aber wie? An das Gewissen der Winzer appellieren? Ihnen erklären, dass sie mit Pestiziden ihre eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen gefährden? Ein bisschen zu pastorenhaft. Oder soll ich die gesellschaftskritische Keule schwingen und drohen, im nächsten Artikel auf weinkenner.de, meiner Website, zu schreiben: „Einen erfolgreichen Winzer erkennt man nicht am gold-
geränderten Etikett auf der Flasche und am Porsche Cayenne im Hof, sondern daran, dass er ein Genussmittel ohne große Belastungen für Natur und Mensch produziert.“
Klingt zwar schön populärsoziologisch. Aber überzeugt man so Porschefahrer? Oder soll ich mit dem Vorschlaghammer kommen: „Ihr werdet ökonomisch zugrunde gehen, wenn ihr nicht sofort ökologisch produziert.“ Am Ende habe ich nichts von alledem getan.
Biowinzer wird man aus innerer Überzeugung, nicht durch Vorschlaghämmer und irgendwelche Keulen. Ich habe meinen Lesern – und Tabea S. gleich mit – stattdessen ein Buch empfohlen. Es heißt: „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“. Dieses Buch ist die beste Neuerscheinung zum Thema Wein in diesem Jahr. Der „richtige“ Wein, damit ist natürlich Bio-Wein gemeint, und „Freiheit“ ist die Belohnung für die Einsicht, dass man Wein nie gegen, sondern nur mit der Natur machen kann. „Sich unabhängig zu machen von den Empfehlungen der Agrarindustrie und den von der Industrie beeinflussten Weinbauschulen, von den Spritzmittel-Apps und dem Fax aus dem nächsten Labor...“, schreibt Romana Echensperger, die Autorin. Sie ist in Weinkreisen keine Unbekannte. Jahrelang hat sie als Sommelière in den besten Restaurants Deutschlands die Gäste beraten. Heute darf sie die Buchstaben MW hinter ihren Namen schreiben: Master of Wine. Sie ist eine von nur drei Frauen in Deutschland, die die schwerste Weinprüfung, die es weltweit gibt, bestanden hat.
Bio ist allerdings nicht Bio. Viele Bio-Weine erfüllen nur die Minimal-Voraussetzungen, nur wenige sind in einem umfassenden Sinne biologisch. Gleich zu Anfang macht Echensperger klar, dass das grüne EU-Biosiegel mit den 12 Sternen ihrer Meinung nach herzlich wenig wert ist. Es steht für „Industrie-Bio“, schreibt sie. Winzer, deren Weine dieses Logo tragen, verzichten zwar auf Pestizide und Kunstdünger. Aber die Böden sind ausgelaugt, die Reben gestresst, Landschaft und Natur werden nur unzureichend geschützt. Echtes Bio ist für sie Biodynamie, egal ob im Sinne von Demeter, Ecovin, respekt Biodyn, Biodyvin oder einer anderen Zertifizierungs-Organisation. Zur Biodynamie gehört mehr als der Verzicht auf synthetische Chemie. Die Böden, in denen die Reben wachsen, müssen gesund sein, das Bodenleben wieder aktiviert werden. Rebstöcke, die gegen Pilzkrankheiten und Insektenbefall gewappnet sind, müssen vital sein. Ausserdem sollten die Weinberge gegen Erosion durch Wind und Starkregen geschützt sein, die Biodiversität in den Landschaften, in denen Wein wächst, gefördert werden.
Das alles erfordert eine ganz andere Art von Weinbau – und einen ganz anderen Winzer. Er muss keinen Strohhut und keine Sandalen tragen. Aber er muss mit beiden Beinen im Weinberg stehen, möglichst täglich. Er muss die Augen aufhalten, Gräser und Kleingetier zwischen den Rebzeilen wahrnehmen, die Vögel hören, den Boden riechen, die Wolken am Himmel deuten können. Kurz: Er muss die Natur wieder lesen lernen. Rückkehr zu einem romantischen Winzerbild? Eher eine Umkehr. Zurück in die Zukunft, lautet der Slogan des biodynamischen Weinbaus. Anderenfalls wird der Weinbau dort enden, wo der industrielle Ackerbau heute schon ist. Echensperger hat in ihrem Buch 12 bekannte Winzer portraitiert, die auf biodynamischen Weinbau umgestiegen sind. Die auf Mineraldünger verzichten und ihren eigenen Kompost herstellen. Die, um ihre Reben zu stärken, Kräutertees und Steinmehl spritzen statt Chemie. Die im Frühjahr Kuhhörner gefüllt mit Hornmist vergraben, um den Boden zu „dynamisieren“. Die sich beim Rebschnitt und bei bestimmten Verrichtungen im Keller an den Mondphasen orientieren. Einige halten Schafe als natürliche „Rasenmäher“ in ihren begrünten Weinbergen, andere spannen einen Gaul vor den Pflug statt einen Traktor. Ein Winzer sagt: „Mit 30 wollte ich einen Porsche fahren. Heute sind meiner Frau und mir solche Dinge wurscht.“ Gemeinsam sind sie der Meinung, dass ihre Reben widerstandsfähiger geworden sind und die Folgen der Klimaveränderung besser überstehen.
Und: Die Qualität ihrer Weine ist
besser geworden. Sie sind aromentiefer, alkoholärmer, harmonischer. Gaumen und Gewissen profitieren beide – eine gute Nachricht für Tabea S. und alle, die gerne Wein trinken.
Von der Freiheit, den richtigen Wein
zu machen
Romana Echensperger
Westend Verlag
Broschur, 288 Seiten
ISBN 978-3-86489-299-8
Euro 32,– (D), Euro 32,90 (A)
Tipps & Tricks für Weintrinker
Wein richtig lagernWer keinen kühlen Keller hat, muss seinen Wein in der Wohnung lagern. Die Speisekammer sollte (wegen der Gerüche) tabu sein, ebenso die Garage. Möglich sind der Flur (z.B. unter der Treppe) oder das Schlafzimmer (unter dem Bett). Klingt komisch. Aber es sind nun einmal die kühlsten Plätze in modernen Wohnungen. Am besten wäre ein Weinklimaschrank – leider auch am teuersten. Übrigens nimmt ein Wein, der binnen Jahresfrist getrunken wird, keinen Schaden, wenn er bei Zimmertemperatur lagert.