
Wein Spezial – von und mit Jens Priewe
Wer selbst viel schreibt, bekommt auch viel Post. Buchleser wollen kommentieren, loben, kritisieren. Manches ist ernst, manches zum Schmunzeln. Aber alle sind auf ihre Art ehrlich. Deshalb lese und beantworte ich sie gern. Da ist zum Beispiel Elvira A. aus Hückelhoven, deren Mail in die Schmunzelkategorie gehört: „Ich trinke grundsätzlich keinen Alkohol, auch keinen Wein. Aber der Primitivo hat mir neulich gut geschmeckt. Nur den Namen finde ich schlimm. Könnte man dem Wein keinen anderen Namen geben? Blacky würde gut passen, finde ich.“ Namen sind immer eine heikle Sache, schrieb ich ihr zurück. Hemingway nannte seine Tochter Margaux, weil er den Wein des gleichnamigen Bordeaux-Château so liebte. Ob seine Tochter damit glücklich war, interessierte ihn nicht. So ist es auch mit dem Primitivo. Er muss mit dem misslichen Namen leben. Heinrich Sch. aus
Erftstadt hatte ein eher ernstes Anliegen. Er teilte mir mit, dass er die Bezeichnung „trocken“ für einen Wein irreführend fände. Wie könne ein flüssiger Stoff trocken sein? Berechtigte Frage. Ich vermute, der Mann ist Physiklehrer und war um das stoffliche Verständnis seiner Schüler besorgt. Ein ganz großes Wissensbedürfnis besteht hinsichtlich der Weingläser. Braucht man für jede Sorte ein eigenes Glas? Darf man Champagner aus Schalen trinken? Wozu hat ein Weinglas einen Stiel? Alles Fragen, auf die ich nur schwer eine Antwort weiss, obwohl die Leser mich als Experten betrachten. Dann schreibe ich einfach, der Stiel ist zum Anfassen da, obwohl sich das Glas am Kelch leichter zum Mund führen ließe. Gilt aber als unfein.
In Zeiten, in denen aus Gründen des Klimaschutzes verlangt wird, auf Flugreisen und Fleisch zu verzichten, wundert es, dass die Forderung noch nicht gekommen ist, auch dem Wein zu entsagen. Schließlich werden 15 Prozent aller chemischen Pflanzenschutzmittel im Weinbau eingesetzt, obwohl Weinberge nur ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmachen. Ein krasses Missverhältnis. Jetzt schrieb mir Johanna, eine junge Klimaaktivistin aus Meschede im Sauerland: „Niemand verdurstet, wenn es keinen Wein mehr gibt.“ Stimmt. Aber kann man das Problem nicht anders lösen? Durch mehr Bioweinbau? Und: Passiert das nicht schon längst? Selbst in Bordeaux, das in punkto Biowein eines der rückständigsten Weinanbaugebiete Europas ist, ist gerade von höchster Stelle angeordnet worden, überall Hecken zu pflanzen, Rebgassen zu begrünen, insektenfreundliche Korridore neben den Weinbergen anzulegen und Fledermaus-Biotope zu schaffen. Fledermäuse fressen in einer Nacht 2.000 Traubenwickler-Motten, einen der gefährlichsten Rebenschädlinge. Giftspritzen könnte überflüssig, Bordeaux wieder ohne Reue getrunken werden. „Wein ist dabei, ein ethisches Produkt zu werden“, habe ich in der neuen Ausgabe meines Buches „Grundkurs Wein“ geschrieben, die soeben erschienen ist. Das Ziel ist zwar noch nicht erreicht. Aber wenn wir alles hopplahopp verbieten, was nicht jetzt schon hundertprozentig klimakonform ist, bräuchten wir bald keine Abiturienten mehr. Dann müssten nämlich alle Menschen nur noch Bäume pflanzen, um die Welt zu retten.
Sehr häufig werde ich mit der Frage konfrontiert, woran man gute Weine erkennen kann. Daran, dass man am nächsten Tag keine Kopfschmerzen hat, glauben viele Leser. Leider konnte ich Imke I. aus Nordfriesland die bittere Wahrheit nicht vorenthalten, dass man auch nach miesen Weinen keine Kopfschmerzen bekommt (es sei denn, man trinkt zu viel). Alexander R. aus Weiden in der Oberpfalz meint, dass es reiche, französische Weine zu trinken. Sie seien die besten. Subjektiv mag das stimmen, bei objektiver Betrachtung muss ich ihm widersprechen. Aus anderen Ländern kommen genauso gute und genauso durchschnittliche Weine. Selbst Exotenländer wie Israel und Libanon produzieren heute Weine, die bei verdeckten Vergleichsproben schon beste und teuerste Franzosen deklassiert haben. Exotenländer? Eine Diskriminierung. Noah, der Mann mit der Arche, war laut Altem Testament der erste Mensch, der einen Weinberg anlegte – aber nicht in Frankreich oder Italien. Die Arche lief am Berg Ararat auf Grund, in Ostanatolien, also in der heutigen Türkei. Dort muss auch der Weinberg gewesen sein. Bordeaux war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ein Exot, sondern gar nichts: ein nasser Sumpf.
Nochmal zum „Grundkurs Wein“. Die neue Ausgabe ist doppelt so dick wie die erste, weil sich so viel geändert hat in der Welt des Weins. Sie liest sich aber ganz easy. Weingläser, Bioweine, Geschmacksbezeichnungen, Alterungsfähigkeit, Rebsorten, Kellertechniken – alles ist auf den neuesten Stand gebracht. Die Weinbauländer auch, Israel, Libanon, Türkei eingeschlossen. Auch Elvira A. aus Hückelhoven erfährt darin, dass Primitivo nichts mit primitiv zu tun hat. Es ist der Name einer süditalienischen Rebsorte , deren Trauben immer als erste gelesen werden. Primitivus bedeutet im Lateinischen: der erste, der kommt. Schade um Blacky.
Nochmal zu den 5-Euro-Weinen: Vor einigen Jahren sollte ich in Köln eine hochkarätige Weinprobe für Manager organisieren. Da kamen gleich ein Dutzend 100-Euro-Weine ins Glas. Sie schmeckten nach allgemeinem Bekunden der Teilnehmer gut – kein Wunder. Beim anschließenden informellen Abendessen fragte ich meinen Tischnachbarn, wie viel Geld er privat für eine Flasche Wein ausgäbe. „Och, 5 Euro würde ich schon springen lassen“, antwortete er ganz ernst und als er meine Verwunderung bemerkte: „Für einen Rotwein auch 6 Euro“. Sie sehen, liebe Leser: Wein ist keine Frage des Geldbeutels, sondern des Anspruchs. Für den Konsumenten, der kein passionierter Weintrinker ist, kann ein 5-Euro-Wein alles haben, was sein Herz begehrt. Er weiß zwar einen 100-Euro-Wein zu schätzen und könnte ihn sich leisten. Aber auch ein einfaches Tröpfchen versetzt ihn in einen Glückszustand. Deshalb gibt es keinen Grund, auf Menschen herabzuschauen, die 5-Euro-Weine lecker finden. Allerdings sollte man nicht ignorieren, dass jenseits der einfachen Qualitäten Weine existieren, die mehr bieten. Die etwas üppiger sind, im Geschmack intensiver, in der Textur seidiger – gehobene Qualitäten also. Diese Weine kommen von penibel ausgelesenen Trauben aus besonders guten Lagen und wurden im Keller einer besonderen Behandlung unterzogen. Wer einmal solche Weine probiert hat, wird sich mit den einfachen Qualitäten nicht mehr zufrieden geben. Er will höher hinaus. Gerade in Deutschland hat die Zahl der Weintrinker, die der Faszination guter Rieslinge, Weiß- und Grauburgunder erlegen sind, stetig zugenommen – die Zahl der Winzer übrigens auch, die solche Qualitäten liefern. Viele Weingüter, die früher in der vierten oder fünften Liga spielten, sind in die dritte oder zweite Liga aufgestiegen. Oft waren es die Söhne und Töchter der Winzer, die das Ruder übernommen haben. Sie sind besser ausgebildet als ihre Eltern, haben Weinbau oder Kellerwirtschaft studiert, Praktika im Ausland absolviert, probieren auch mal 100-Euro-Weine, um zu erleben, wie sich der Weinhimmel so anfühlt. Aber wo, bitteschön, findet man diese Weingüter? Wie heißen sie? Das Telefonbuch hilft nicht weiter. Man braucht einen Weinguide, wie ich ihn rocketman69 so gerne in die Hand gedrückt hätte. Genau genommen gibt es zwei gute Weinführer in Deutschland: den Gault&Millau und den VINUM Weinguide. Beide sind um die 1000 Seiten dick und listen alles auf, was zu probieren sich lohnt. Die VINUM-Tester sind etwas strenger, das Gault&Millau-Team wertet etwas großzügiger. Da kann ein trockener Riesling schon mal 100 Punkte bekommen – die Höchstnote. Die VINUM-Leute haben dafür eine Spürnase für junge Winzertalente. Auch wenn Wein letztlich Geschmacksache ist: Das Urteil anderer zu erfahren, zumal das von Experten, kann nicht schaden.
Grundkurs Wein – Alles, was man über Wein wissen sollte
Jens Priewe
ZS Verlag
Hardcover, 192 Seiten
ISBN 978-3-89883-941-9
Euro 19,99 (D), 20,60 (A)
Tipps & Tricks für Weintrinker
Wie wird eine Champagnerflasche geöffnet?Zuerst wird die Staniolkapsel, dann das Drahtkörbchen über dem Korken entfernt. Danach mit der einen Hand den Flaschenhals samt Korken fest umschließen, mit der anderen die Flasche am Boden anfassen und vorsichtig drehen, bis sich der Korken löst. Danach den Korken vorsichtig aus dem Flaschenhals drehen. Wichtig: Nie die Flasche hart auf dem Tisch aufsetzen. Der Korken würde aus der Flasche fliegen und der Champagner überschäumen.