DAS LITERATURHAUS HAMBURG – EINE JUNG GEBLIEBENE INSTITUTION

Wein Spezial – von und mit Jens Priewe

Das Internet ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Wir lieben es. Wir brauchen es. Wir können ohne Whats App, Instagram, Facebook oder die Internet-Foren nicht mehr leben – viele von uns jedenfalls nicht. Doch das Internet kann auch lästig sein. Es tummeln sich dort nämlich nicht nur coole Leute, sondern auch Nervensägen. Sie langweilen uns ständig mit ihren momentanen Befindlichkeiten und regen sich über jeden Post auf, der ihnen nicht gefällt. Ich habe mir neulich beispielsweise den Zorn von rocketman69 zugezogen, der Mitglied in einem Internet-Weinforum ist und eine Weinempfehlung von mir überhaupt nicht gut fand: „Jeder Wein, der mehr als fünf Euro kostet, ist Abzocke, das solltest du eigentlich wissen. Aber du gehörst wahrscheinlich zu den Millionarios, die immer nur so ne 100 Euro Kacke trinken ...“ Krasse Wortwahl. Aber vielleicht hatte rocketman69 einfach nur einen schlechten Tag. Jedenfalls habe ich ihm geantwortet: „Hi rocketman69, ich verrate dir jetzt mal ein Geheimnis, aber behalte es bitte für Dich: Es gibt auch gute Weine über 5 Euro.“ Gehört habe ich leider nichts mehr von ihm. Vielleicht hätte ich ihm einen Weinguide empfehlen sollen, in dem über 10.000 der besten Weine aus Deutschland aufgeführt und bewertet werden, keiner auch nur annähernd für 100 Euro, knapp die Hälfte sogar unter 10 Euro. Alles fein säuberlich beschrieben mit Adresse des Weinguts und so weiter. Ich fürchte nur, er hätte das Buch gar nicht in die Hand genommen, weil er jede Form der Fremd-Empfehlung als Provokation ansieht. Für Wutbürger, egal ob Politik oder Wein, ist das Internet eine ideale Plattform, um sich wichtig zu machen. Man muss nichts begründen, muss sich für nichts rechtfertigen. Man kann nach Belieben austeilen und das auch noch anonym. Ein Weinführer ist dagegen immer das Werk vieler Tester. Sie müssen Informationen beibringen und argumentieren, ihr eigenes Urteil auf den Prüfstand stellen. Persönliche Geschmacksvorlieben dürfen nicht als objektive Qualität verkauft werden. Und sie stehen mit ihrem Namen für das, was sie schreiben. Ich persönlich hole mir deshalb lieber Rat aus einem Weinguide als aus den Untiefen des Internets.

Nochmal zu den 5-Euro-Weinen: Vor einigen Jahren sollte ich in Köln eine hochkarätige Weinprobe für Manager organisieren. Da kamen gleich ein Dutzend 100-Euro-Weine ins Glas. Sie schmeckten nach allgemeinem Bekunden der Teilnehmer gut – kein Wunder. Beim anschließenden informellen Abendessen fragte ich meinen Tischnachbarn, wie viel Geld er privat für eine Flasche Wein ausgäbe. „Och, 5 Euro würde ich schon springen lassen“, antwortete er ganz ernst und als er meine Verwunderung bemerkte: „Für einen Rotwein auch 6 Euro“. Sie sehen, liebe Leser: Wein ist keine Frage des Geldbeutels, sondern des Anspruchs. Für den Konsumenten, der kein passionierter Weintrinker ist, kann ein 5-Euro-Wein alles haben, was sein Herz begehrt. Er weiß zwar einen 100-Euro-Wein zu schätzen und könnte ihn sich leisten. Aber auch ein einfaches Tröpfchen versetzt ihn in einen Glückszustand. Deshalb gibt es keinen Grund, auf Menschen herabzuschauen, die 5-Euro-Weine lecker finden. Allerdings sollte man nicht ignorieren, dass jenseits der einfachen Qualitäten Weine existieren, die mehr bieten. Die etwas üppiger sind, im Geschmack intensiver, in der Textur seidiger – gehobene Qualitäten also. Diese Weine kommen von penibel ausgelesenen Trauben aus besonders guten Lagen und wurden im Keller einer besonderen Behandlung unterzogen. Wer einmal solche Weine probiert hat, wird sich mit den einfachen Qualitäten nicht mehr zufrieden geben. Er will höher hinaus. Gerade in Deutschland hat die Zahl der Weintrinker, die der Faszination guter Rieslinge, Weiß- und Grauburgunder erlegen sind, stetig zugenommen – die Zahl der Winzer übrigens auch, die solche Qualitäten liefern. Viele Weingüter, die früher in der vierten oder fünften Liga spielten, sind in die dritte oder zweite Liga aufgestiegen. Oft waren es die Söhne und Töchter der Winzer, die das Ruder übernommen haben. Sie sind besser ausgebildet als ihre Eltern, haben Weinbau oder Kellerwirtschaft studiert, Praktika im Ausland absolviert, probieren auch mal 100-Euro-Weine, um zu erleben, wie sich der Weinhimmel so anfühlt. Aber wo, bitteschön, findet man diese Weingüter? Wie heißen sie? Das Telefonbuch hilft nicht weiter. Man braucht einen Weinguide, wie ich ihn rocketman69 so gerne in die Hand gedrückt hätte. Genau genommen gibt es zwei gute Weinführer in Deutschland: den Gault&Millau und den VINUM Weinguide. Beide sind um die 1000 Seiten dick und listen alles auf, was zu probieren sich lohnt. Die VINUM-Tester sind etwas strenger, das Gault&Millau-Team wertet etwas großzügiger. Da kann ein trockener Riesling schon mal 100 Punkte bekommen – die Höchstnote. Die VINUM-Leute haben dafür eine Spürnase für junge Winzertalente. Auch wenn Wein letztlich Geschmacksache ist: Das Urteil anderer zu erfahren, zumal das von Experten, kann nicht schaden.

Weine

Gault&Millau Weinguide Deutschland 2019
ZS Verlag
Hardcover, 960 Seiten
ISBN 978-3-89883-839-9
Euro 39,90 (D), 41,20 (A)

VINUM Weinguide Deutschland 2019
Christian Verlag
Kartoniert, 1.024 Seiten
ISBN 978-3-95961-265-4
Euro 35,– (D), 36,– (A)

Tipps & Tricks für Weintrinker

Wenn der Wein korkt
Weine, die korken, gehören in den Ausguss. Leider. Aber bei manchen Weinen ist nicht ganz klar, ob sie wirklich korken oder nur korkähnlich riechen. Ein einfacher Test schafft Klarheit: Den Korken in ein viertel volles Glas lauwarmes Wasser geben und fünf Minuten warten. Überträgt sich der Korkgeruch (und Korkgeschmack), ist der Wein tatsächlich korkkrank. Wenn nicht, ist der Wein okay. Dekantiert man ihn oder lässt ihn eine Zeit lang offen stehen, verschwindet das befremdliche Aroma.

Von: Jens Priewe