
Wein Spezial – von und mit Jens Priewe
„Der liebe Gott würde heute
Frankreich links liegen lassen und
in Deutschland essen gehen“
So lautet der erste Satz in Jakob Strobel y Serras Buch „Geschmacksache“. Der Autor ist Lesern der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wohl bekannt. Er portraitiert jeden Freitag im Feuilleton ein deutsches Spitzenrestaurant. Strobel y Serra weiß also, wovon er spricht, wenn er den Wagemut und die Kreativität deutscher Köche lobt, ihre Phantasie bewundert, die Inspiration bestaunt, die sie Brücken schlagen lässt zu den Küchen Chinas, Koreas, Japans, auch ihre Bescheidenheit registriert, mit der sie immer häufiger auf Hummer, Kaviar und Gänsestopfleber verzichten und stattdessen auf weniger glamouröse regionale Produkte setzen. Die cuisine française ist zwar 2010 zum Weltkulturerbe ernannt worden. Aber die deutschen Köche ziehen, wie er beobachtet hat, „Heerscharen von Feinschmeckern aus aller Welt an...“, um dort zu speisen, wo sich auch der liebe Gott niederlassen würde, wenn er ein Feinschmecker wäre. Der Untertitel seines Buchs lautet deshalb: „Über das Glück, in den besten Restaurants Deutschlands zu essen.“
Geheimtipps für neugierige Genießer
Ich würde, wenn ich dürfte, den Untertitel noch erweitern und auch das Trinken mit einbeziehen. Nicht wegen der beeindruckenden Anzahl von Mineralwässern, die sich auf vielen Getränkekarten der Spitzenrestaurants finden, sondern wegen der Weine. So wie die neuen Küchenchefs dazu übergehen, Rotbarsch und Sardine wieder zu Ehren zu bringen statt Thunfisch- oder Scampitartar zu servieren oder lieber mit marinierten Schweinebauch experimentieren als ihre Gästen mit einem Tenderloin-Steak zu langweilen, so finden sich auf den Getränkekarten guter Restaurants auch Weine, die ein durchschnittlich gut informierter Weintrinker möglicherweise noch nie gehört hat. Trockene Weißweine wie Assyrtiko von der griechischen Insel Santorin oder Alvarinho aus dem atlantisch-kühlen Norden Portugals, Rotweine aus der Mencia-Traube, die in der wenig bekannten spanischen Ribeira Sacra ungeahnte Qualitäten hervorbringt. Oder Syrah aus dem Schweizer Kanton Wallis, der bei Bergsteigern und Skifahrern einen guten Ruf genießt, für Weintrinker aber eine terra incognita ist – alles Geheimtipps von kundigen Sommeliers für neugierige Genießer.Neue Geschmackserlebnisse
Natürlich gehören auch deutsche Weine dazu, die in den letzten Jahren ebenfalls einen dramatischen Aufschwung genommen haben, sowohl qualitativ als auch in der Gunst der Konsumenten. Neben den einschlägigen Favoriten tauchen auf den Weinkarten immer häufiger Winzer auf, deren Namen so unbekannt sind wie die mancher Dörfer, in denen sich ein Sternelokal versteckt. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre Weine extrem gut, manchmal spektakulär, immer sehr besonders und nie 08/15-Ware sind. Diese Weine kennenzulernen, ist ebenfalls ein Glück, durchaus vergleichbar mit dem, was die neuen Küchenchefs aus Rotbarsch, Sardine und Schweinebauch machen. Sicher, die meisten gelobten Restaurants können auf Rothschild-Bordeaux, Montrachets aus dem Burgund, spanischen Vega Sicilia und die andere big names der Weinwelt nicht ganz verzichten. Aber die Weinkarte eines kreativen Restaurants muss ebenfalls kreativ sein. Sonst wäre das Glück, in den besten Restaurants Deutschlands zu speisen, nicht vollkommen. Spitzenrestaurants sind immer auch Orte, in denen nicht nur die feste, sondern auch die flüssige Nahrung neue Geschmackserlebnisse bieten sollte.Authentisch und natürlich
Jakob Strobel y Serra weiß das. Deshalb hat er in seinem Buch außer den Restaurants auch acht außergewöhnliche Weingüter aus Deutschland porträtiert. Nicht die üblichen Verdächtigen, sondern ambitionierte Winzer, die sich dem Mainstream verweigern wie Luther einst dem Widerruf seiner Thesen auf dem Reichstag zu Worms. Einer dieser Winzer ist Hanspeter Ziereisen aus dem Dorf Efringen in Südbaden. Der eigensinnige Winzer, gelernter Möbelschreiner, legt sich ausgerechnet für den Gutedel ins Zeug, einen im Südwesten Deutschland zwar beliebten, aber relativ einfachen Weißwein. Ziereisen schafft es, aus dem Gutedel etwas herauszuholen, was diesen auch für Spitzenrestaurants prädestiniert – von seinen Spätburgundern und seinen anderen Rotweinen ganz zu schweigen. Oder die Brüder Andreas und Steffen Rings aus Freinsheim: Sie erzeugen aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet franc einen Rotwein, den Strobel y Serra kühn einen „Pfälzer Bordeaux“ nennt. In Bensheim an der Hessischen Bergstraße – nicht gerade das Mekka des deutschen Weins – steht seit einigen Jahren ein junger Winzer namens Niko Brandner im Keller des Sekthauses Griesel & Compagnie. Seine handgerüttelten Sekte schmücken inzwischen die Weinkarten vieler Gourmet-Restaurants, deren Inhaber bislang der Überzeugung waren, dass Champagner der alleinige König der schäumenden Weine ist. Oder Theresa Breuer aus Rüdesheim am Rhein, die mit Zwanzig das Weingut ihrer Familie übernehmen musste und heute, Mitte 30, die wohl puristischsten Rieslinge im ganzen Rheingau erzeugt. „Weine ohne Speckgürtel“ zitiert Strobel y Serra die junge Frau. Andere Winzer, die für die neue Philosophie stehen, sind für ihn der Pfälzer Philipp Kuhn, die Rheinhessin Christine Huff, Jakob Schneider von der Nahe und der Mosellaner Nik Weis vom St. Urbanshof. Für sie alle muss Wein mehr können als nur gut schmecken. Er muss authentisch und natürlich sein, darf ruhig etwas speziell schmecken. Lecker war gestern – so wie das Jägerschnitzel auch.
Geschmackssache – Über das Glück, in den besten
Restaurants Deutschlands zu essen
Jakob Strobel y Serra
ZSVerlag
Broschur, 240 Seiten
ISBN 978-3-96584-023-2
Euro 24,99 (D), Euro 25,70 (A)
Tipps & Tricks für Weintrinker
Was tun mit angebrochenen Weinflaschen?Fast alle Rot- und Weißweine, vor allem jüngere Jahrgänge, halten sich auch offen problemlos einen Tag, ohne an Qualität zu verlieren – meist auch zwei oder drei Tage. Allerdings sollte die angebrochene Flasche nach Benutzung wieder mit dem Korken verschlossen werden. Das gilt auch für Weine, die schon drei oder vier Jahre alt sind. Das Absaugen der Luft mit speziellen Gummipumpen hilft wenig, der Silberlöffel im Flaschenhals von Sekt und Champagner gar nichts. Die Kohlensäure entweicht schnell, nachdem die Flasche einmal geöffnet wurde.