
Hannah Arendt
Ein Roman über Wahrheit und Fiktion, über Freiheit und unabhängiges Denken
Im Sommer 1975 reist Hannah Arendt ein letztes Mal von New York in die Schweiz, in das Tessiner Dorf Tegna. Von dort fliegen ihre Gedanken zurück nach Berlin und Paris, New York, Israel und Rom. Und sie erinnert sich an den Eichmann-Prozess im Jahr 1961. Die Kontroverse um ihr Buch „Eichmann in Jerusalem“ forderte einen Preis, über den sie öffentlich nie gesprochen hat. Mit profunder Kenntnis von Leben, Werk und Zeit gelingt Hildegard Keller ein
intimes Porträt, ein faszinierend neues Bild einer der bedeutendsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts.
Über ihren mitreißenden ersten Roman haben wir mit der Autorin, Literaturkritikerin und -professorin gesprochen.
Liebe Frau Keller, warum ein Roman über Hannah Arendt?
Ich begeistere mich für gelebtes Leben, für Menschen aus Fleisch und Blut, für Charakterköpfe, für Persönlichkeiten mit einem klugen Herzen, und zu denen gehört Hannah Arendt. Sie ist nichts fürs Totsein. Deshalb habe ich sie mit meinen Mitteln ins Leben zurückgeholt. Ich habe meine Hauptfigur mit viel künstlerischer Freiheit aus dem Gerüst ihrer Biografie herausgelöst und ins Hier und Jetzt gestellt, damit sie mit uns, die wir heute leben, spazieren und zu uns reden kann. Nur im Freiraum der Imagination kann ich die große Begegnungs- und Interaktionslust zeigen, die sie für mich verkörpert.
Was macht Ihre Hannah Arendt aus?
Hannah Arendt war mit der Publikation der Reportagen-Serie „Eichmann in Jerusalem“ 1963 fast schlagartig eine öffentliche Person geworden. Aus dem grellen Licht einer Öffentlichkeit, die sie teils mit Hass, teils mit Euphorie überschüttete, ohne sich in der von ihr erhofften sachlichen Weise mit ihrem Buch auseinanderzusetzen, kam sie bis zu ihrem Tod nicht mehr heraus. Ich las und tastete mich lange an diese Wende in ihrem Leben heran und erspürte eine Leerstelle.
Die Frau, die jahrelang hart im Wind stand, den Menschen, der kaum je von den persönlichen Folgen dieser Ereignisse gesprochen hat, die Denkerin, die ihrer Linie treu geblieben ist, die ganze Hannah Arendt, die das alles durchgemacht hat, sie wollte ich ins Leben zurückholen.
In „Was wir scheinen“ sind wir bei und mit ihr. Sie gewinnt persönliche und private Facetten, die im Schatten der öffentlichen Persona liegen, und wird auch durch die Verbindung von Erlebtem und Gedachtem ein „ganzerer“ Mensch, so hoffe ich jedenfalls. Wenn das gelingt, habe ich als Schriftstellerin und Forscherin das Beste erreicht.
Spricht aus diesem Roman eher die Forscherin oder die Künstlerin in Ihnen?
Für mich lässt sich das eine nicht vom anderen trennen. Von Haus aus bin ich Mittelalterforscherin. Ich weiß, dass man ein Stück Vergangenheit nur glaubwürdig reanimieren und auffrischen kann, wenn man recherchiert. Ich bin Literaturwissenschaftlerin und Professorin, Künstlerin und Autorin. Davon profitiert mein erster Roman, wissenschaftliche Recherchen sind ebenso eingeflossen wie meine Erfahrung als Stoffgestalterin, als Hörspiel-, Theater- und Filmregisseurin. Wenn ich eine historische Person reanimiere, spiele
ich auf zwei Instrumenten gleichzeitig. Die Form des Romans eignet sich für die Reanimation eines Lebens ausgezeichnet. Ich mag klug gemachte
Animationsfilme sowieso lieber als um historische Genauigkeit bemühte Kostümfilme. Sie sind um Welten poetischer.
Vielen Dank für das Gespräch!
Was wir scheinen
Hildegard E. Keller
Eichborn Verlag
Hardcover, 576 Seiten
ISBN 978-3-8479-0066-5
Euro 24,– (D), Euro 24,70 (A)
auch als E-Book