
Wein Spezial – von und mit Jens Priewe
Der Autor dieser Zeilen bekennt: Er trinkt täglich Wein. Praktisch 365 Tage im Jahr, wenn ihn nicht gerade eine Erkältung oder Grippe heimsucht. Roter und weißer Wein schmeckt ihm gleich gut und sich nach dem Tagesstress abends zurückzulehnen und einen edlen Tropfen aus einem großen Glas zu trinken, ist für ihn eine Art Entschleunigung. Er trinkt nicht mehr als zwei oder drei Glas, und diese nur zum Abendessen. Der Arzt des Autors ist informiert über den Lebenswandel seines Patienten. Manchmal legt er die Stirn in Falten. Aber er sagt nichts. Ihm fehlen die Argumente. Die Blutwerte seines Patienten seien „jungfräulich“, gibt er zu. Und die Leber ist nicht stärker vergrößert als bei einem durchschnittlichen Deutschen männlichen Geschlechts, egal ob dieser trinkt oder nicht. Was also gegen diese Art der Entschleunigung des Lebens einwenden? Nichts. Rotwein säubert durch das Tannin, das er enthält, die Arterien und ist – das ist durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt – gut für Kreislauf und Herz. Jeder Mediziner weiß das. Und Weißwein soll gut für das Gehirn sein, was zwar wissenschaftlich nicht bewiesen, aber nach einhelliger Meinung aller Weißwein-Winzer der Welt trotzdem richtig ist. Ohne Weißwein, behaupten sie, hätte man längst vergessen, wie gesund Rotwein für das Herz ist. Der Autor dieser Zeilen ist sogar überzeugt, dass Menschen, die Wein trinken, gesünder leben als Menschen, die keinen Wein trinken.
Das einzige, was ihn nachdenklich macht, ist: Wein ist kein Nullkalorien-Getränk. Ein Gläschen Prosecco hat ungefähr 70 Kilokalorien. Das ist etwas mehr als ein Apfel und etwas weniger als eine Banane. Eigentlich nicht viel. Aber bei einem Glas bleibt es meistens nicht. Außerdem stimuliert Wein den Appetit. Wer ihn zum Essen trinkt, isst mehr. Und wer täglich mehr isst, dem sieht man das irgendwann äußerlich an. Er sieht dann nicht mehr so sexy aus wie Brad Pitt oder Heidi Klum. Aber das müssen Weintrinker in Kauf nehmen. Der einzige Trost: Selbst wenn sie eine ganze Flasche tränken (wozu nicht geraten wird), hätten sie nur wenig mehr Kalorien zu sich genommen als ein einziger Schokoriegel enthält, nämlich 550 Kilokalorien. Damit ist klar: lieber drei Glas Wein als einen Mars-Riegel.
Wein kann – natürlich – auch gefährlich sein, wenn man zu viel von ihm trinkt. Kopfschmerzen, Sodbrennen, Bluthochdruck, Herzrasen, Übelkeit sind sichere Anzeichen dafür, dass einer zu tief ins Glas geschaut hat. Tut er das dauerhaft, steht am Ende die Leberzirrhose. Doch das soll hier nicht weiter erörtert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat deshalb die zuträgliche Tagesration Wein auf zweieinhalb Glas bei Männern und anderthalb Glas bei Frauen festgelegt – aber nicht randvolle Gläser, sondern mickrige 0,1 l. Es gibt Menschen, die unter dieser Maßgabe gar nicht erst eine Flasche Wein öffnen würden. Auch der Autor dieser Zeilen findet, dass es ein bißchen mehr schon sein darf. Ärzte-Empfehlungen sind immer auf Risikopatienten gemünzt, nicht auf Gesunde. Wer nicht raucht, nicht übergewichtig oder zuckerkrank ist, verträgt folgerichtig auch ein Glas mehr, wer sich sportlich betätigt auch zwei Glas. Sogar Marathon kann man als Weintrinker laufen, wenn man bereit ist, mal eine Alkoholpause einzulegen.
Ein Beispiel dafür ist Hubert de Langeville, der Besitzer eines kleinen Château in St. Emilion. Er hatte am Médoc-Marathon teilgenommen, einem traditionellen Lauf durch die Weinberge von Bordeaux, an dem jedes Jahr Zehntausende von Menschen teilnehmen, der größte Teil verkleidet in Spaßgewändern. Sie machen an jedem Château, das sie passieren, Rast, trinken ein Glas Rotwein und delektieren sich an Schinken und Austern, um dann mehr oder minder angeheitert weiter zu traben, singend, palavernd, laut krakeelend. Ins Ziel kommt am Ende nur ein kleiner Teil der Läufer, jene, die sich aus sportlichen Gründen eingeschrieben haben. Sie sind auf das Preisgeld scharf. Sie tragen keine Kostüme, krakeelen nicht, machen keine Rast und trinken unterwegs Wasser, keinen Rotwein. So einer war Hubert de Langeville. Ein hoch gewachsener, sehniger Winzer, bereits Anfang Sechzig zwar und mit grauen Haaren an den Schläfen, aber topfit und gut trainiert, obwohl er berufsbedingt Wein trank. Er tat es aber nie vor oder während des Marathons. Dass gerade er nach wenigen Kilometern tot zusammenbrach, stellt folglich alle wissenschaftlichen Theorien auf den Kopf.
Das ist die Ausgangssituation in Alexander Oetkers Krimi „Château Mort“. Ärzte und Sanitäter, die als Ersthelfer vor Ort waren, sind ratlos. Der Tote war kerngesund, sein Lebenswandel tadellos – trotz (oder wegen) seines regelmäßigen Rotweinkonsums. Herz und Kreislauf befanden sich laut medizinischer Unterlagen in „jungfräulichem“ Zustand. Der Umstand, dass Hubert de Langeville nicht erst bei Kilometer 42, sondern schon nach wenigen Kilometern zusammenbrach, nährt den Verdacht, dass es nicht Überanstrengung war, die ihn hat kollabieren lassen: ein rätselhafter Tod. Kommissar Luc Verlain, der hinzugezogen wird, veranlasst eine Obduktion. Der Befund: Es war doch das Herz – aber jemand hatte nachgeholfen. Mord also.
Was in dem spannenden, gut geschriebenen Krimi des früheren RTL-Journalisten und Frankreichkenners folgt, gewährt dem Leser einen tiefen Einblick in die Welt des Weins von Bordeaux, die nach außen glanzvoll erscheint, im Inneren aber vom Kampf um Rangordnungen, Glamour, Geld und die Gunst der Kritiker geprägt ist. Wein mag noch so gesund sein: Wer sich zu tief in ihn verstrickt, für den kann er tödlich sein.
Château Mort - Luc Verlains neuer Fall
Alexander Oetker
Hoffmann und Campe
Klappenbroschur, 331 Seiten
ISBN 978-3-455-00076-4
Euro 16,00 (D), 16,50 (A)
Tipps & Tricks für Weintrinker
Was tun mit angebrochenen Weinflaschen?Fast alle Rot- und Weißweine, vor allem jüngere Jahrgänge, halten sich auch offen problemlos einen Tag, besonders die besseren Weine. Allerdings sollte die angebrochene Flasche wieder schnell mit dem Korken verschlossen werden. Mit Weinen, die schon drei oder vier Jahre alt sind, muß man vorsichtiger sein, vor allem mit wertvollen Weinen. Manche überstehen die Zeit problemlos, andere nicht. Sie kippen zwar nicht um, aber sie verlieren an Frische. Das Absaugen der Luft mit speziellen Gummipumpen hilft da wenig.