
Wein Spezial – von und mit Jens Priewe
Neulich erhielt ich von einem jungen Mann eine lustige E-Mail, deren Inhalt mich allerdings nachdenklich gemacht hat: „Mein Vadder hat neulich eine alte Buddel Wein im Keller gefunden, 30 Jahre alt, schätzte er. Am letzten Sonntag wollte er sie dann köpfen. Ich meinte nur: Na Vadder, wenn du da mal nicht ein edles Tröpfchen leichtsinnig in dich reinschüttest. Aber der Vadder hat gesagt, der Wein muss weg. Hier nun meine Frage...“ Sie können sich, liebe Leser, denken, welche Frage der junge Mann gestellt hat: Wie viel ist die Flasche wert? Er fürchtete, sein „Vadder“ würde unwissend Tausende von Euro vernichten und ihn, den Sohnemann, womöglich um einen Teil seiner Erbschaft bringen. „Schätze liegen bekanntlich im Keller“, fügte er wissend hinzu. Nehmen wir mal an, der junge Mann hat Recht und die „Buddel“ wäre tatsächlich wertvoll. Was würde man dann damit machen? Der Franzose – da bin ich mir sicher – würde seinen besten Freund einladen und den Wein zu Gänsestopfleber und getrüffeltem Fasan genießen. Der Italiener würde sein ganzes Dorf einladen, eine Riesenportion Spaghetti spendieren und die Flasche kreisen lassen. Der Engländer würde sich mit dem Wein vor seinen Kamin zurückziehen und die Flasche ganz konzentriert alleine leeren. Und der Deutsche? Verkneift sich den Genuss. Überlegt lieber, ob er sie versilbern kann. Traurig. Die junge Generation, darauf deutet dieses Beispiel hin, ist genauso genussfeindlich, wie die alte früher war. Die hat gelernt. Siehe „Vadder“. Dabei können die 20- bis 35-Jährigen durchaus genießen – nur allzu oft auf bescheidenem Niveau. Pizza, Pommes, Primitivo – das sind die kulinarischen Eckpfeiler ihrer Genusswelt. Für Spritzz, Hugo, Moscow Mule oder andere Cocktails lassen sie, wenn sie samstags ausgehen, ebenfalls gern was springen, für eine Flasche Sekt sogar etwas mehr, wenn es nicht zu vermeiden ist. Aber danach ist Schluss. Wenig Neugier auf Neues, große Skepsis gegenüber Experimentellem. Wer das Weintrinken im Elternhaus nicht gelernt hat, der wird den Weg zu Bordeaux, Burgunder oder Riesling Großes Gewächs nur schwer finden. Die Welt des guten Geschmacks bleibt ihm verborgen. Klar, junge Leute haben kein prall gefülltes Bankkonto. Aber Spielekonsole, Handyverträge, Netflix-Abo – für all das zücken sie ihre Kreditkarte bedenkenlos.
Oder liegt die Spießigkeit in Genussdingen an dem ganzen Theater, das um Wein gemacht wird? An der krassen Sprache der Experten? An den zahllosen Posern, die mit dem Weinglas in der Hand einen auf cool machen und dabei nur Bullshit reden? Könnte ich nachvollziehen. Aber das Gute beim Wein ist, dass jeder sein eigenes Ding machen kann. Ich erzähle hier mal kurz von einem anderen jungen Typen, der genau das getan hat. Er studierte Literatur in Amerika, spielte aber hauptsächlich Bass in einer Rockband. Die Gagen waren niedrig. Sie reichten gerade für die Miete und ein paar Basics: eine Packung Nudeln pro Woche, ein Stück Butter und einen Liter Milch. Einmal wurde der Typ unvorsichtig und kauf- te sich im Supermarkt für 5,99 Dollar eine Flasche Rotwein – ein verhängnisvoller Fehler. Er probierte den Wein, und sofort machte es klick. Ein Geschmack wie frisch umgegrabene Erde, wilde Brombeeren, schwarze Oliven, Sattelleder. Genial, dachte er. Die Butternudeln kriegte er fortan ohne Wein nicht runter. Justin Leone, so heisst der Typ, heuerte in einem Wineshop an. Er sog die Beschreibungen der älteren Verkäufer auf und nippte an jedem Pfützchen, das die Kunden im Probierglas hinterließen, Was er sich von seinem ersten Lohn kaufte, ist klar. Und wenn er eine Flasche aufmachte, kochte er dazu. Er war jung, hungrig und furchtbar durstig. Heute ist der Typ 37 und in Deutschland gelandet. Sechs Jahre lang war er Chef-Sommelier im Zwei-Sterne-Restaurant Tantris in München. Er kennt nahezu alle bedeutenden Weingüter der Welt, hat ein eigenes YouTube-Format („Chasing Bacchus“), ist Juror in einer Weinsendung von Sky plus und hat gerade sein erstes Buch veröffentlicht. „Just Wine“ heisst es. Untertitel: „Weinwissen ohne Bullshit“. Man kann es von vorne bis hinten lesen. Aber vielleicht sollten junge Leser erstmal die Playlists anschauen, die er zusammengestellt hat. Songs berühmter Rock- und Popgruppen, die genau zu den Weinen passen: Radiohead zu Moselriesling, Snoop Dogg zu Sauvig-non Blanc, Christina Aguilera zu Chenin Blanc von der Loire, Coldplay zu Merlot, Led Zeppelin zu spanischem Tempranillo. Ältere Semester werden mit den Playlists vermutlich wenig anfangen können. Aber die anderen, die Coldplay & Co. sowieso den ganzen Tag über Knopf im Ohr hören, die könnten über dieses Buch vielleicht den Weg aus ihrer Genussstarre finden.
Justin Leone
Just Wine
Weinwissen ohne Bullshit
ZS Verlag
Kartoniert, 200 Seiten
ISBN 978-3-89883-837-5
Euro 22,99 (D), Euro 23,70 (A)
Tipps & Tricks für Weintrinker
Wie lagert man Wein?Weinflaschen werden liegend gelagert. Der Korken muss immer benetzt sein, damit er nicht austrocknet. Weinflaschen mit Schraubverschluss können auch stehend gelagert werden. Der Raum sollte dunkel und geruchsfrei sein, die Temperatur am besten zwischen 8 und 16° C liegen: klassischerweise der Keller. Wichtig ist, dass die Temperatur im Jahresverlauf nicht mehr als etwa 4°C schwankt. Das alles gilt aber nur für wertvolle Flaschen, die viele Jahre gelagert werden sollen. Alltagsweine, die innerhalb von Monaten oder Wochen getrunken werden, können auch ganz normal in der Wohnung gelagert werden, ohne Schaden zu nehmen.